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Let’s Talk About Money – Gewinnverteilung in Kanzleien. Interview mit Dr. Kay-Uwe Bartels 

17.07.2023

Dr. Christian Zimmermann: Herr Bartels, Sie sind spezialisiert auf die Beratung von Juristen in Kanzleien, MDP und Rechtsabteilungen in den Bereichen Positionierung, Strategie, Organisation und Digitale Transformation. Ein wesentlicher Aspekt der Verzahnung von Vision, Zielsetzung, Strategie und der Zusammenarbeit innerhalb der Partnerschaft ist die Gewinnverteilung. Welche Gewinnverteilungssysteme bestehen in deutschen Kanzleien?

Dr. Kay-Uwe Bartels: Wenn ich zunächst die 100 umsatzstärksten Wirtschaftskanzleien in Deutschland 2021/2022 gemäß Juve Rechtsmarkt betrachte, so ist eine exakte Zweiteilung festzustellen. 50% der Kanzleien verteilen ihren Gewinn nach einem sogenannten Lockstep oder modifizierten Lockstep-System, 50% nach einem sogenannten Merit-Based oder Eat What You Kill-System. In einem Lockstep-System berechnet sich der Gewinnanteil eines Partners unabhängig von seinem individuellen Leistungsbeitrag anhand einer dem Partner zugeordneten Punktzahl im Verhältnis zur Gesamtzahl aller ausgegebenen Punkte für die gesamte Partnerschaft. Im Gegensatz dazu wird bei einem Merit-Based oder Eat What You Kill-System auf den sehr individuellen Leistungsbeitrag eines Partners abgestellt, der als Grundlage für seinen Gewinnanteil genommen wird.

Dr. Joseph Schilling: Wie relevant ist die Herkunft der Kanzleien?

Bartels: Deutsche Kanzleien verteilen ihren Gewinn überwiegend in einem Lockstep oder modifizierten Lockstep-System (58%) und zu 42% in einem Merit-Based oder Eat What You Kill-System, US-Kanzleien verteilen im Gegensatz hierzu ganz überwiegend in einem Merit-Based oder Eat What You Kill-System (74%), bei internationalen Kanzleien beträgt der Anteil der in einem Merit-Based oder Eat What You Kill-System verteilten Gewinne 86%.

Zimmermann: Nach welchen Kriterien wird der Gewinn in Kanzleien mit einem Merit-Based oder Eat What You Kill-System verteilt?

Bartels: Die ganz überwiegende Mehrzahl der Gewinnverteilungssystemesetzen am Kriterium Höhe der Umsatzerlöse eines Partners (83%) an, entweder ausschließlich oder ergänzt um weitere Kriterien. Dies können sein: z. B. die Dauer der Zugehörigkeit zur Partnerschaft, das Maß an Akquisition, die Weitergabe akquirierter Umsätze/abrechenbare Zeiten an andere Partner/Anwälte, das Engagement bei der Entwicklung der Kanzlei und der Partnerschaft z. B. in den Bereichen Aus- und Weiterbildung, sowie Geschäftsentwicklung und die Mitarbeit in Gremien der Kanzlei. Bei einzelnen Kanzleien auch Veröffentlichungen, wissenschaftliche und Vortragstätigkeiten sowie Mitarbeit in Pro Bono-Projekten.

Schilling: Welche Aspekte sind bei der Gewinnverteilung mittels eines Lockstep oder modifizierten Lockstep-Systems zu beobachten?

Bartels: Sogenannte reine Lockstep-Systeme sehen einen jährlichen Zuwachs an Punkten einzig nach dem Kriterium Dauer der Kanzleizugehörigkeit bzw. Lebensalter vor. Die Systeme unterscheiden sich durch die Spannbreite zwischen Einstiegs- und Plateau-Niveau, hier sehe ich Spannbreiten von 1:2-3 (tendenziell eher bei deutschen Kanzleien) bis 1:6-10 (tendenziell eher bei internationalen und US-Kanzleien), das heißt, dass ein Partner, der die Obergrenze der Vergütung erreicht hat, das 2-3-fache (in deutschen Kanzleien) bis zum 6-10-fachen (in Internationalen/ US-Kanzleien) des Gewinnanteils verglichen mit einem Partner zu Beginn bzw. auf der Eingangsstufe in der Gewinnverteilung erhält. Die Bandbreite der Zeiträume für den Durchlauf eines Partners vom Einstieg bis zur Obergrenze (teilweise als Plateau bezeichnet) reicht nach meiner Erfahrung von sechs Jahren bis zu 14 Jahren. Modifizierte Lockstep-Systeme sehen die Unterlegung der jährlichen Punktzuwächse durch Kriterien vor, die aus der Merit-Based oder Eat What You Kill-Systemen bekannt sind und in abgeschwächter Form übernommen werden, das heißt, der Partner muss bestimmte absolute Umsatzerlös- bzw. Profitabilitätsbeträge erreichen oder sonstige, zuvor genannte Kriterien erfüllen.

Einzelne Systeme sehen Prüfpunkte, Tore bzw. Schranken in der Form von Umsatz-, Ergebnis- oder sonstigen Erfolgsbeiträgen vor, die erreicht und durchschritten werden müssen, um das Fortschreiten im Punktesystem Richtung Plateau fortzusetzen. Ein Beispiel für ein (modifiziertes) Lockstep-Verteilungssystem könnte ein Einstieg mit 40 Punkten und ein jährlicher Zuwachs von 5 Punkten sein, so dass der Partner nach zwölf Jahren 100 Punkte (Spannbreite 100:40=2,5) erreicht. Nach fünf (65 Punkte) und neun Jahren (85 Punkte) könnten Prüfpunkte, Tore bzw. Schranken definiert sein, die erreicht werden müssen und im Idealfall im Partnerschaftsvertrag vereinbart sind. Teilweise werden Kriterien für den Verbleib in der höchsten Lockstep-Stufe definiert, zum Teil wird vereinbart, dass die Punkte eines Partners z. B. in den letzten drei Jahren vor Erreichen der Altersgrenze um jeweils ein Drittel abschmelzen, so dass jeder Partner bei Austritt aus der Kanzlei keine Punkte mehr besitzt.

Zimmermann: Sie begleiten seit mehr als zehn Jahren Kanzleien bei der Modifizierung ihrer Gewinnverteilungssysteme. Welche Gründe liegen ihrer Beauftragung in der Regel zugrunde?

Bartels: Häufigster Grund ist die Unzufriedenheit der Mehrheit der Partner mit der Gewinnverteilung, weil diese nicht zur Zielsetzung und Strategie der Kanzlei passe und weil die der Gewinnverteilung zugrunde liegenden Kriterien häufig intransparent seien. Grund hierfür sind unbestimmte verwendete Begriffe für die Kriterien wie „Erfolg“, „herausragende“ Leistungen, eine Berücksichtigung „partnerschaftlichen Verhaltens“, der Ausbau „wichtiger“ Mandantenbeziehungen, „Engagement“ für die Kanzlei, Beiträge zum „strategischen Erfolg“, aber auch eine Verteilung durch ein Komitee oder die „Beurteilung“ von Partnern durch andere Partner. In Kanzleien, die zur Gewinnverteilung Lockstep oder modifizierte Lockstep-Systeme zugrunde legen, ist es häufig die Überbetonung der Dauer der Kanzleizugehörigkeit und der Seniorität. Dahinter steht die Annahme, dass eine stetige Steigerung von Umsatzerlösen, Auslastung des Partners und Profitabilität der geleisteten Arbeit mehr oder weniger einzig Folge von Seniorität und Berufserfahrung sei, ohne dass individuelle Beiträge und Erfolge, aber auch z.B. Umorientierungen aufgrund geänderter Nachfragesituation durch Mandanten berücksichtigt werden.

Schilling: Welche generellen Tendenzen haben Sie im Verlauf der letzten fünf Jahre beobachtet?

Bartels:Mit Blick auf die ca. 25 Projekte zur Modifizierung von Gewinnverteilungssystemen in Kanzleien in den letzten fünf Jahren beobachte ich, dass der Wunsch der Mehrheit der Partner nach einer besseren Berücksichtigung individueller Leistungsbeiträge zunimmt, ohne dass die jeweiligen Gewinnverteilungssysteme einer radikalen und vollständigen Neufassung unterworfen werden sollen. Betriebswirtschaftlich steht hinter den Zusammenschlüssen von Anwälten zu Kanzleien vor allem das Ziel einer gemeinsamen Berufsausübung, um sich ergänzender Dienstleistungen (Cross Selling) anbieten zu können.

Damit geht der Wunsch der meisten Partner einher, gemeinsame Aktivitäten und Anstrengungen von Partnern zur Identifikation der grundsätzlichen Ausrichtung der Kanzlei (adressierte Mandanten-Industrien, Rechtsgebiete, Art der Mandanten/Mandate), das heißt, der sie tragenden Werte und Ziele, der Art und Weise, wie diese Ziele erreicht werden sollen und der Umsetzung der Maßnahmen und Handlungen, die der Zielerreichung dienen, zu honorieren. Erfolgreiche nachhaltige Gewinnverteilungssysteme sollten daher nach meiner Ansicht die gemeinsame Identifikation von Mandanten (z. B. in einem Top 30- oder Top 50-Mandanten-Programm) und langfristig profitable Begleitung der Mandanten bei deren rechtlichen Fragestellungen berücksichtigen.

Die sehr starke Betonung der erzielten Umsatzerlöse unterstellt, dass aus der Höhe der Umsatzerlöse auf die zu verteilende Profitabilität und die Höhe der Gewinne geschlossen werden kann. Das ist nach meiner Erfahrung aus 20 Jahren betrieb(swirtschaft)licher interner und externer Beratung in den seltensten Fällen gegeben. Die häufig stark vereinfachende Annahme, umsatzstarke Mandanten, Praxisgruppen, Industriegruppen und Partner trügen in gleichem Maße zur Profitabilität bei, führt nicht unwesentlich zur Unzufriedenheit mit Gewinnverteilungssystemen. Wenn individuelle Beiträge berücksichtigt werden sollen, wäre somit eine Praxisgruppen-, Industriegruppen-, Niederlassungs-, Mandanten-Ergebnisrechnung zu implementieren, um die Erfolge ermitteln und anschließend verteilen zu können.

Zimmermann: Welche Vorteile haben die jeweiligen Gewinnverteilungssysteme?

Bartels: Lockstep-Systeme stellen aus Mandantensicht eher sicher, dass die/der jeweils am besten für eine rechtliche Fragestellung qualifizierte Anwalt*in mit der Bearbeitung des Mandates betraut wird, da kein unmittelbares Interesse an der persönlichen Erzielung des Umsatzerlöses und der Auslastung besteht. Das für die Kanzlei wesentliche Ziel der Maximierung des Mandantennutzes wird hier eher erreicht und damit auch die langfristige Sicherung und Nutzung der Erfolgspotenziale der Kanzlei. Weitere positiv beeinflussende Erfolgsfaktoren sind stärkeres Interesse an Cross Selling, Mitarbeiterförderung und -ausbildung sowie in der Regel eine als angenehmer und besser wahrgenommene Kanzleikultur durch konsensualeren und wertschätzenderen Umgang und die Anerkennung jeweils anderer Kompetenzen und Erfahrungen. In Kanzleien, die Merit-Based oder Eat what you kill-Systeme der Gewinnverteilung zugrunde legen, ist der individuelle Einsatz in der Regel höher, da die Erträge dem Leistenden unmittelbarer zufließen.

Die Kanzlei ist häufig leistungsorientierter und fokussierter auf persönliche Leistungsbeiträge und Auslastung ausgerichtet. Sie hat außerdem die größere Herausforderung, Beiträge Einzelner für den gemeinsamen (Kanzlei) Erfolg einzufordern. Cross Selling findet in der Regel in geringerem Umfang statt. Insgesamt betrachtet nehme ich Kanzleien, deren Gewinnverteilung Lockstep oder modifizierte Lockstep-Systeme zugrunde liegen, als langfristig erfolgreicher wahr, finanziell (z. B. Höhe der Gewinnmargen) wie nicht-finanziell (z. B. konsensualere, wertschätzendere Kanzleikultur). So verteilen z. B. 7 der 10 Top-Kanzleien der azur 100-Liste 2023 ihren Gewinn nach diesem System.

Schilling: Gelten die bisher getroffenen Aussagen auch für Kanzleien, die nicht zur Gruppe der 100 umsatzstärksten Wirtschaftskanzleien in Deutschland 2021/2022 gemäß Juve Rechtsmarkt gehören?

Bartels: Die Gewinnung von Informationen für diese Gruppe ist deutlich herausfordernder. Ich kann hier nur meine Erfahrung aus realisierten Projekten heranziehen und dies auf der Basis meiner Kenntnisse und Erfahrungen im Grunde mit Ja bestätigen.

To Be Continued

Freuen Sie sich schon auf die Fortsetzung in unseren kommenden Newslettern, wenn wir über weitere Themen wie Mitarbeitergewinnung, Motivation und andere Management-Themen in der Organisation großer und kleiner Kanzleien der rechts- und wirtschaftsberatenden Berufe mit Dr. Bartels sprechen.

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