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Interview mit Prof. Dr. Martin Henssler (Geschäftsführender Direktor) und Dr. Christian Deckenbrock (Akademischer Oberrat)

25.05.2023

LTA: Das Institut für Anwaltsrecht an der Universität Köln gibt es seit 1988. Wie hat es sich über die Jahre entwickelt? 

Dr. Christian Deckenbrock: Das Institut für Anwaltsrecht wurde 1988 mit dem Ziel gegründet, die wissenschaftliche Erforschung des Anwaltsrechts voranzutreiben, einen Dialog zwischen Wissenschaft und Anwaltschaft zu schaffen und die anwaltliche Perspektive in die Juristenausbildung einzubringen. Diesem Auftrag fühlt sich das Institut nun seit 35 Jahren verpflichtet. Es gibt eigentlich keinen Aspekt der breit gefächerten Querschnittsmaterie Anwaltsrecht, dem sich das Institut mit seinen vielen Mitstreitern – hierzu zählen neben Martin Henssler auch noch Hanns Prütting, Christoph Thole und Matthias Kilian als Direktoren, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Instituts und der Förderverein unter der Leitung von Bernd Hirtz – nicht angenommen hat. Wesentliche Standardwerke, wie der BRAO-Kommentar Henssler/Prütting, das Sozietätsrechtshandbuch Henssler/Streck, das Handbuch zur Beraterhaftung von Henssler/Gehrlein/Holzinger und der RDG-Kommentar von Martin Henssler und mir werden in Köln herausgegeben. Insgesamt kommen an die 50 wissenschaftliche Veröffentlichungen pro Kalenderjahr zusammen, die das anwaltliche Berufsrecht gleichermaßen prägen und im Detail beleuchten. 

LTA: Welche Schwerpunkte sind über die Jahre neu hinzugekommen?

Christian Deckenbrock: Aktuelle Reformdiskussionen werden stets eng begleitet. So trat Prof. Dr. Henssler schon 1994 als Sachverständiger zur damaligen BRAO-Novelle im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages auf, seitdem ist eigentlich bei jedem Gesetzesvorhaben zum anwaltlichen Berufsrecht sein Sachverstand gefragt. 

Zudem haben wir uns der anwaltsorientierten Lehre verschrieben und fördern aktiv die Teilnahme der Studierenden am Soldan Moot Court, bei dem es auch um Fragen des Berufsrechts geht.

LTA: Nach Inkrafttreten der BRAO-Reform zum 01.08.2022 bietet das Anwaltsinstitut einen digitalen Kompaktkurs zum anwaltlichen Berufsrecht. 

Prof. Dr. Martin Henssler: Seit der BRAO-Reform sind neu zugelassene Rechtsanwälte verpflichtet, binnen eines Jahres nach Zulassung einen Nachweis über den Erwerb von Kenntnissen im Berufsrecht zu erbringen (§ 43f BRAO). Neben den Präsenz- und Live-Veranstaltungen klassischer Anbieter stellt das Kölner Anwaltsinstitut in einem Pilotprojekt einen vollständig digitalen Online-Lehrgang samt eigens entwickelter Lernplattform zu Verfügung, der die wesentlichen Grundlagen des Berufsrechts vermittelt (https://coursespace.de). Die Vorträge sind nach Themen in Einheiten unterteilt und in Fernsehqualität aufgezeichnet, sodass die Teilnehmenden frei bestimmen können, wann, wo und in welchem Tempo sie die Kenntnisse erwerben möchten. Für den Kenntnisnachweis wird die Anwesenheit durch eine KI-basierte Gesichtserkennung sichergestellt, sodass die Teilnehmenden lediglich einen PC, ein Laptop oder Tablet mit Kamera benötigen. 

LTA: Welche Rolle spielte das Institut bei Entwicklung der jüngsten BRAO-Reform?

Christian Deckenbrock: Eine ganz entscheidende Rolle! Prof. Henssler hat bereits sehr früh auf die Defizite im anwaltlichen Berufsrecht hingewiesen. Das frühere Berufsrecht der Anwaltsgesellschaften war intransparent, inkohärent und lückenhaft. Es fehlte an einem rechtsformunabhängigen Ansatz; die Berufsausübungsgesellschaft war berufsrechtlich ein Nullum, weil die Vorschriften allein am Einzelanwalt anknüpften. 

Zudem bestand Handlungsbedarf, weil das Bundesverfassungsgericht die Regelungen zum Kreis der sozietätsfähigen Berufe und zu den Mehrheitserfordernissen in der Anwalts-GmbH für verfassungswidrig erachtet hatte. 2018 hat dann Martin Henssler im Auftrag des Deutschen Anwaltvereins, aber gleichwohl als unabhängiger Wissenschaftler und ohne jede Vorgabe, einen vollständigen Gesetzentwurf zur Reform des Berufsrechts der anwaltlichen Berufsausübungsgesellschaften vorgestellt. Dieser Entwurf war eine hervorragende Grundlage für die nun in Kraft getretene Reform des anwaltlichen Gesellschaftsrechts. 

LTA: Es wurde ein Bedarf für eine Liberalisierung des anwaltlichen Gesellschaftsrechts gesehen, der im Zuge der BRAO-Reform durch zahlreiche neue anwaltliche Gesellschaftsformen seinen Niederschlag gefunden hat. Wie reagiert die Praxis, sehen Sie einen Trend?

Martin Henssler: Das Recht auf Organisationsfreiheit muss auch für die Anwaltschaft gelten. Jede Beschränkung bedarf mit Blick auf die grundrechtlichen Freiheiten einer Rechtfertigung. Schon deshalb war eine Anpassung erforderlich – auch wenn derzeit noch kein Ansturm auf die GmbH & CO. KG und die weniger interessante OHG zu verzeichnen ist. Das Anwaltsinstitut sieht sich als Garant für die Rechtsstaatlichkeit und ist in dieser Rolle aktiv geworden.

LTA: Wie wird die Möglichkeit der interprofessionellen Zusammenarbeit mit solchen Berufen angenommen, die bisher nicht als sozietätsfähig galten, also Ärzten, Sachverständigen, Apothekern oder Hebammen und Lotsen, § 1 Abs. 2 PartG?

Christian Deckenbrock: Prof. Kilian hat in AnwBl 2023, 38 hierzu einen Aufsatz im AnwBl (s.Box) veröffentlicht, der verdeutlicht, welcher Bedarf in diesem Bereich besteht und welche nach der BRAO-Reform sozietätsfähigen Berufe besonders passend für eine Zusammenarbeit mit Anwältinnen und Anwälten angesehen werden. Richtig ist allerdings, dass die Anzahl der „neuen“ interprofessionellen Berufsausübungsgesellschaften sich bislang im Rahmen hält. Hier wird die Zeit zeigen, welche Modelle sich am Markt etablieren. Gleichwohl war die Öffnung überfällig, weil es keinen Sachgrund mehr für den bisherigen, recht restriktiven Katalog gab. 

LTA: Welche Rechtsfolge besteht Ihrer Meinung nach, wenn eine PartG mbB die Frist zum 01.11.2022 für den Zulassungsantrag versäumt hat? Verliert sie die Rechtsdienstleistungsbefugnis oder wird sie mangels Zulassung als milderes Mittel auf das Haftungsregime einer einfachen Partnerschaftsgesellschaft „zurückgestuft“?

Martin Henssler: Die Folgen sind im Gesetz eindeutig beschrieben: Die Postulationsfähigkeit und die Rechtsdienstleistungsbefugnis sind an die Zulassung gekoppelt. Ohne Zulassung bzw. ohne einen rechtzeitigen Antrag auf Zulassung ist die zulassungspflichtige Berufsausübungsgesellschaft weder postulationsfähig noch rechtsdienstleistungsbefugt. Eine Rückstufung in eine einfache Partnerschaftsgesellschaft kann meines Erachtens nicht erfolgen, denn diese Frage bestimmt sich nach gesellschafts- und nicht berufsrechtlichen Regelungen.

LTA: Ist das Kanzlei-beA-Postfach ein großer Motivator für GbRs, Partnerschaften und OHGs, eine Zulassung zu beantragen? 

Martin Henssler: Die freiwillige Zulassung der GbR und anderer nicht haftungsbeschränkter Berufsausübungsgesellschaften bietet durch das einheitliche beA-Postfach, das Organisationsprozesse in der Kanzlei vereinfacht, einen klaren Vorteil.

LTA: Welche Rechtsfolge sehen Sie für GbRs, die pflichtwidrig die neue Pflichtversicherungssumme von € 500.000 in der irrigen Annahme nicht abschließen, dass die Versicherungssumme nach § 51 BRAO für den einzelnen Berufsträger wie in der Vergangenheit ausreicht? 

Christian Deckenbrock: Ein nicht ausreichender Versicherungsumfang führt zu einer persönlichen Haftung, die allerdings bei einer GbR ohnehin besteht. Darüber hinaus handelt es sich um einen Berufsrechtsverstoß, der durch die zuständige Rechtsanwaltskammer geahndet werden kann, zum Beispiel durch eine Rüge bis zu einem anwaltsgerichtlichen Verfahren. Ist die GbR nicht (freiwillig) zugelassen, können sich berufsrechtliche Sanktionen allerdings nur gegen die beteiligten Anwälte richten.

LTA: Das Institut für Anwaltsrecht beteiligt sich maßgeblich an Diskussionen zu Legal Tech. Welche Rolle wird es im Rechtsmarkt der Zukunft einnehmen – Ergänzung oder Verdrängung?

Martin Henssler: Digitalisierbare Prozesse werden für die Anwaltschaft wegfallen. Insofern findet in diesem Bereich eine gewisse Verdrängung statt. Das halte ich jedoch nicht unbedingt für negativ, da mehr Zeit für komplexere Sachverhalte aufgewendet werden kann, während möglicherweise nicht lukrative, aber notwendige Rechtsdienstleistungen durch Legal-Tech-Einheiten übernommen werden können. 

Bereits jetzt gibt es auch unter der Anwaltschaft einen Fachkräftemangel, während immer mehr Regulierungen zu beachten sind. Von Vorteil sind niedrigschwellige Angebote zu „Kleinstfällen“, um Rechtsanwälte zu entlasten und dem Mandanten zum Recht zu verhelfen. 

Christian Zimmermann: Das Anwaltsinstitut veranstaltet regelmäßige Symposien. Mit welchem Thema haben Sie in der fast 35-jährigen Geschichte des Instituts die meisten Zuhörer mobilisiert?

Christian Deckenbrock: Unsere Symposien waren stets gut besucht, oft frühzeitig ausgebucht oder wir mussten nach größeren Räumlichkeiten Ausschau halten. Zwei Veranstaltungen aus der jüngeren Vergangenheit möchte ich gleichwohl hervorheben: zum einen unsere Veranstaltung 2019 mit dem Tagungsthema „v-Dienstleistungen – Chancen und Risiken für den Anwaltsberuf“, die unmittelbar vor der Grundsatzentscheidung des BGH in Sachen „wenigermiete.de“ stattfand. 

Wir mussten die Anmeldeliste bereits nach wenigen Tagen schließen, weil die Kapazitätsgrenze von 150 Teilnehmenden erreicht war. Die vielfältigen Entwicklungen des Rechtsdienstleistungsmarkts in den letzten Jahren – gerade durch die Etablierung der Legal-Tech-Angebote – wurden dann äußerst kontrovers bei uns diskutiert. Da die auf unseren Symposien gehaltenen Vorträge im Nachgang der Veranstaltung im Anwaltsblatt veröffentlicht werden, hat die Veranstaltung aber noch eine viel größere Breitenwirkung gehabt.

2020 mussten wir dann aufgrund der COVID-19-Pandemie online tagen. Thematisch ging es um die vielfältigen Gesetzesentwürfe, die die Bundesregierung kurz zuvor vorgelegt hatte, allen voran um die „Große BRAO-Reform“ mit der Neuregelung des anwaltlichen Gesellschaftsrechts und um das Gesetz zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt. Mit uns wollten fast 280 Teilnehmende über diese rechtspolitischen Vorhaben diskutieren.

Joseph Schilling: Zahlen, Daten, Fakten zum Institut für Anwaltsrecht. Der Förderverein war maßgeblich an der Gründung des Instituts beteiligt. Welche Rolle spielt er damals und heute bei der Finanzierung des Instituts?

Christian Deckenbrock: Eine sehr wichtige: Der Zweck des 1988 gegründeten Fördervereins, genauer des Vereins zur Förderung des Instituts für Anwaltsrecht an der Universität zu Köln e. V., ist die Förderung der wissenschaftlichen Arbeit des Instituts für Anwaltsrecht an der Universität zu Köln. 

Der Verein übernimmt etwa einen Teil der Finanzierung des Personalbestandes und der Bibliothek, die sicherlich die größte Spezialbibliothek mit anwaltsrechtlicher Literatur ist. Ohne diese Förderung wäre die Arbeit des Instituts und seiner Mitarbeiter – jedenfalls in diesem Umfang – undenkbar. Zudem helfen uns die Vorstandsmitglieder des Fördervereins, allen voran der Vorstand unter Professor Bernd Hirtz, sehr durch ihr persönliches Engagement. Man merkt bei allen, dass ihnen der Verein, das Institut und die gemeinsamen Themen sehr am Herzen liegen. 

Stella Dörne: Welche Möglichkeiten der Fördermitgliedschaft gibt es? 

Christian Deckenbrock: Zunächst einmal freuen wir uns über jedes neue Mitglied im Förderverein. Jeder Beitrag kommt der unabhängigen wissenschaftlichen Forschung im Anwaltsrecht unmittelbar zugute. Die Beitragshöhe bestimmt jedes Mitglied selbst. Für natürliche Personen ist ein Mindestbeitrag in Höhe von 50 Euro und für juristische Personen ein Mindestbeitrag in Höhe von 375 Euro vorgesehen. 

Wer Interesse an einer Fördermitgliedschaft hat, findet alle Informationen zum Förderverein auf der Website unseres Instituts, die unter anwaltsrecht.uni-koeln.de erreichbar ist. Die Mitgliedschaft bringt aber auch unseren Mitgliedern Vorteile: Mit einer Vielzahl von wissenschaftlichen Veröffentlichungen (meist um die 50 pro Kalenderjahr) und Veranstaltungen beleuchten wir grundlegende und aktuelle Fragen des Anwaltsrechts aus jedem nur denkbaren Blickwinkel. Zudem stellen wir sicher, dass das Anwaltsrecht auch an unserer Universität [Anm: Universität zu Köln] gelehrt wird. Dies ist von besonderer Bedeutung, nachdem der Gesetzgeber in § 43f BRAO jede neu zugelassene Anwältin und jeden neu zugelassenen Anwalt inzwischen verpflichtet, eine zehnstündige Lehrveranstaltung im anwaltlichen Berufsrecht zu besuchen. Darüber hatten wir ja vorhin schon gesprochen. Nicht umsonst hat uns die frühere Bundesjustizministerin Brigitte Zypries als anwaltsrechtlichen „Leuchtturm“ in Wissenschaft und Lehre bezeichnet.

LTA: 2023 jährt sich die Institutsgründung zum 35. Mal. Wie wird das Jubiläum gefeiert?

Christian Deckenbrock: Lassen Sie sich überraschen! In jedem Fall planen wir wieder unser jährliches Berufsrechtssymposium, das am 30. November stattfinden wird.

LTA: Gegen Ende des Interviews erlauben Sie bitte die kurze Frage: Was wäre die Welt ohne das Institut für Anwaltsrecht? Welche Errungenschaften wären der Anwaltschaft verborgen geblieben? Bitte antworten Sie kurz und pointiert. 

Martin Henssler: „Eine andere Welt.“

Lieber Herr Prof. Dr. Henssler, lieber Herr Dr. Deckenbrock, wir danken Ihnen für das Gespräch. Dem Institut wünschen wir stetes Wachstum im 35. Jahr seines Bestehens und, wer weiß, vielleicht gibt es ja doch noch eine kleine Feier…

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